Wie ein ukrainisches Ehepaar nach Idstein kam und warum die beiden im Sportzentrum des TV Idstein leben

Von Volker Stavenow
IDSTEIN. Viele Mitglieder des TV 1844 Idstein sind diesem Ehepaar im Sportzentrum des Vereins am Himmelsbornweg bereits begegnet: Yuliia Izotova (54 Jahre) und Serhii Demytrenko (67 Jahre). Das ist auch kein Wunder, schließlich wohnt und lebt das ukrainische Ehepaar seit Monaten unter den Sporthallen des Idsteiner Großvereins. Die kleine Wohnung mit Schlafnische, kleiner Küche und Bad befindet sich genau hinter dem Kraft- und Indoor-Cycling-Raum im TV-Sportzentrum. „Ja, wir hören oft die laute Musik, wenn die Sportler dort auf den Rädern trainieren. Bumm, bumm, bumm …“, schmunzelt Serhii. Er und seine Frau Yuliia sind glücklich, dass sie in der Zentrale des TV eine Bleibe gefunden haben, weit weg vom Krieg.
Keine Medikamente für die kranke Mutter
Vor eineinhalb Jahren floh das Ehepaar aus der Stadt Melitopol nach Deutschland. Die ukrainische Stadt ist von den russischen Invasionstruppen besetzt. Izotova hatte 20 Jahre lang als privates Kindermädchen in ukrainischen Haushalten gearbeitet, Demytrenko als Automechaniker. „Als der Krieg ausbrach, war meine kranke Mama aus Odessa bei mir zu Besuch in Melitopol. Unsere Stadt wurde sehr schnell von der russischen Armee besetzt. Wir lebten drei Monate unter russischer Besatzung. Es war sehr schwer, die Medikamente für meine Mutter zu kaufen. Deswegen haben wir entschieden, dass wir unsere Stadt verlassen“, erzählt Izotova.
Das Ehepaar mit Mutter gehörte zu den letzten ukrainischen Flüchtlingen, die Melitopol verließen. Danach konnte niemand mehr die Stadt verlassen. „Wir sind nach Saporischschja gefahren und waren dort eine Zeitlang. Wir brachten meine Mutter später zurück nach Odessa. Serhii und ich fuhren mit dem Zug nach Krakau in Polen, so wie viele ukrainische Flüchtlinge“, schildert Yuliia Izotova. Der Sohn aus erster Ehe ihres Mannes, der inzwischen in Polen wohnt, half seinem Vater und ihr: Er stellte die Verbindung zu ehrenamtlichen Helfern in Frankfurt am Main her. „Dort wurden wir in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht, die vom Deutschen Roten Kreuz betrieben wurde“, erzählt Demytrenko.
Sein Sohn nahm aus Polen Kontakt mit einem Helfer in Frankfurt auf. Der wiederum stellte die Verbindung zur Idsteinerin Jule
Schneider her, die auf Vereinsebene Spenden, Hilfstransporte und andere Unterstützungen organisiert (wir berichteten). „Durch Jule Schneider sind wir nach Idstein gekommen“, erklärt Izotova. Zunächst wohnte das Ehepaar in Niedernhausen. In dieser Zeit wurde die kleine Wohnung im TV-Sport-zentrum renoviert. Es wurden Möbel organisiert, und nach einer Woche konnte das Paar im Sportzentrum einziehen.
„Ich besuche aktuell einen Integrationskurs und lerne fleißig Deutsch. Ich mache in der Frauensportgruppe des TV Idstein mit. Da wird auch Deutsch geredet“, schildert Izotova. Ihr Mann tut sich schwer mit dem Erlernen der deutschen Sprache. „Ich unterstütze im Sportzentrum sehr gerne Herrn Reuther und den TV Idstein, ähnlich wie ein Hausmeister. Alles, was so ansteht. Was ich machen kann, mache ich. Ich brauche Arbeit. Ich freue mich, wenn man mich anspricht, und ich helfen kann.“ Renate Stübing (TV Idstein) schätzt die Unterstützung durch Serhii sehr. „Er wird von jedem Übungsleiter gefragt, ob er helfen kann. Auf Serhii ist immer Verlass. Ich würde sagen, Serhii ist die gute Seele des TV Idstein und seine Frau Yuliia unterstützt ihn dabei.“ Obwohl Yuliia aus der Kinderbetreuung kommt, hat sie keine Chance, ohne Weiter- und Fortbildungen in Deutschland in ihrem Metier als Erzieherin zu arbeiten: Ihre ukrainischen Ausbildungen werden nicht anerkannt. „Ich habe auch in der Ukraine eine Ausbildung als Masseurin abgeschlossen“, erzählt Izotova.
Sie und ihr Mann sind allen ehrenamtlichen Helfern sehr dankbar, die sie unterstützen. „Die Menschen hier sind selbstlos und haben alle für uns ihre Herzen geöffnet und ihre Türen aufgemacht. Das finden wir beide, Serhii und ich, sehr bewegend“, sagt Izotova. Ihr Mann bekräftigt den für ihn so wichtigen Dank an die Helfer mit Tränen in den Augen. Das ukrainische Ehepaar weiß nicht, wie es weitergeht: „Keiner weiß, wann der Krieg zu Ende ist und wie er ausgeht. Am Anfang dachten wir, dass wir nicht länger als maximal sechs Monate in Deutschland bleiben. Aber jetzt ist es schon viel länger“, schildert Serhii Demytrenko. „Deshalb versuchen wir heute und hier zu leben, nützlich zu sein für den TV Idstein. Je länger wir hierbleiben, um so mehr gewöhnen wir uns an die neuen Gegebenheiten in Idstein.“ Darum könnte es immer schwieriger werden, irgendwann in der Zukunft in die Ukraine zurückzukehren.
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